Jagoda Marinić
Dem Schreiben gehören die Nächte
(von Jan.ka)
Wenn es dunkel ist, dann erweckt Jagoda Marinić ihre Figuren zum Leben. Mia, die sich zwischen Berlin, Toronto und Dalmatien, von wo ihre Eltern stammen, auf die Suche begibt nach ihrer Identität. Die Namenlose, deren eigentlich geordnetes Leben ins Wanken gerät, weil da noch der Verehrer und ihre Mutter sind. Am Abend, in der Nacht werden behutsam gewählte Worte zu eindringlichen Geschichten. Jagoda Marinić, die 1977 als Tochter kroatischer Einwanderer im schwäbischen Waiblingen geboren wurde, schreibt Erzählungen, Theaterstücke, Essays und Romane. Schon über ihr Erstlingswerk „Eigentlich ein Heiratsantrag“ sagt Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, als er ihr den fertigen Geschichtenband überreicht: „So ein Buch will man geschrieben haben.“
Dabei hatte Jagoda Marinić sich eigentlich nur mal „Kurz eingemischt“ – damals, in der Frankfurter Rundschau: Sie kritisierte 1999 in einem Beitrag die Unterschriftensammlung der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Die junge Frau mischt sich also kurz ein – und sogleich den Literaturbetrieb auf: Der damalige Suhrkamp-Cheflektor Rainer Weiss entdeckt die Autorin, die erst Anfang 20 ist. Und die zwar schreiben, dies aber eigentlich nicht zu ihrem Beruf machen will. Es folgen erste Preise, darunter der Förderpreis der Hermann Lenz Stiftung, und schnell die Erkenntnis, dass „ein Autor seinen Stoff im Leben suchen sollte, nicht am Schreibtisch oder bei Preisverleihungen“.
Jagoda Marinić studiert in Heidelberg Politikwissenschaft, Germanistik und Anglistik. Sie geht nach Kroatien, lebt in Split und Zagreb, später in Berlin. Sie arbeitet in den USA, in Kanada, in Rumänien. Und überall hört sie genau hin, hält die Augen offen, sammelt Eindrücke und Stimmungen, fängt Geschichten ein. Jagoda Marinić kann das: Erzählen. Den Leser, aber auch ihren Zuhörer fesseln: in der Literatur wie im wahren Leben. Weil sie für das brennt, was sie vertritt. Weil sie die passenden Worte findet – und den richtigen Ton. Weil sie tough ist und zart zugleich. Sie schreibt feinsinnig, spricht aber da, wo es ihr ein Anliegen ist, eine klare Sprache, vertritt ihren Standpunkt – mit sanftem Nachdruck, immer mit Bedacht. Man hört der Autorin gern zu, aber auch sie hat diese Eigenschaft, auf die es zwischen den Menschen so sehr ankommt: Jagoda Marinić kann zuhören.
Schon ihr erster Roman „Die Namenlose“ wird für den Bachmannpreis nominiert und ist laut dem Magazin Der Spiegel eine der wichtigsten Neuerscheinungen im Buchherbst 2007. Und doch, sagt Jagoda Marinić, passen ihre Protagonisten oft nicht in die deutsche Literatur. „Weil ihnen die Verortung fehlt. Sie sind mehr Gefühlsträger als starke Charaktere.“ Die Atmosphäre steht im Mittelpunkt, die Innenwelt der Figur, eben nicht das Drumherum, nicht das Äußere. Im Jahr 2013 erscheint im Verlag Hoffmann und Campe ihr zweiter Roman „Restaurant Dalmatia“. Diesmal ist es anders: Über Protagonistin Mia Marković weiß man nun viel mehr als über frühere Figuren: Wo sie lebt, wo sie aufgewachsen ist, wo ihre Wurzeln liegen. Jagoda Marinić selbst beantwortet sie nicht gern, die Frage nach der Heimat. „Ich möchte lieber die Erlebnisse, die ich in der Welt habe, zu meinem Leben verknüpfen“, sagt sie, die Europäerin und Weltbürgerin.
Dass dem Schreiben vor allem die Nächte gehören, hat derzeit auch praktische Gründe: Denn tagsüber baut Jagoda Marinić in Heidelberg das Interkulturelle Zentrum auf. Sie engagiert sich politisch, spricht bei Veranstaltungen über Integrationsthemen, von denen sie sich wünscht, „dass sie irgendwann endlich mal nicht mehr als Themen bezeichnet“ – sondern schlichtweg gelebt werden. Lesungen, Podiumsdiskussionen, Gastreden: Jagoda Marinić lebt ein Künstlerbild, das über Wort- und Erzählkunst weit hinausgeht. Ein politischeres. In ihren Geschichten gibt sie Menschen eine Stimme, die ständig auf der Suche sind, nicht immer, weil sie es so wollen, oft auch, weil die engen Muster der Gesellschaft sie dazu bringen. In diesem Spagat zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung bewegen sich ihre Figuren. Sie beschäftigen sich mit der Freiheit, erkunden, was sie bedeutet, wo sie herkommt, wo sie hinführt. Unter den Geschichten stets die Frage, ob das nicht die Aufgabe eines jeden Menschenlebens ist: Die Suche nach einem Platz in der Welt.